Einer der schönsten Workshops, den ich in letzter Zeit erlebt habe, verstieß gegen all unsere methodischen Regeln der Workshop-Gestaltung. Er erreichte eine tiefe Auseinandersetzung über Identität, spontane Lebensentscheidungen und die Haltung zum Leben im Allgemeinen – und das ohne einen professionellen Aufbau, so wie wir ihn seit Jahren anwenden und lehren. Wie war das möglich? Die Antwort könnte eine ästhetisch-performative sein.

Im Rahmen meines Lehrauftrags an der Frankfurt University vermittle ich Studierenden der Sozialen Arbeit, wie man gute Workshops aufbaut. Es geht dabei um künstlerisch-ästhetische Medien. Die Studierenden im Bachelor suchen sich eine Kunstform aus, mit der sie bereits eigene Erfahrungen gemacht haben, und gestalten dann einen Workshop für andere Studierende.
Das Seminar ist dadurch sehr abwechslungsreich, sehr praktisch und hoffentlich auch ein Beispiel für einen gemeinsamen Lernprozess. Wir hatten schon einige sehr schöne Workshops! Und auch ich habe dabei immer wieder viel gelernt.
In diesem Rahmen bot eine Studierende im Sommersemester 2024 einen Tattoo-Workshop an. Mit „Stick and Poke“ zeigte sie uns die einfachste Art Tattoos zu stechen. Wir probierten dies nicht an uns selbst, sondern an Bananen aus. Die Studierende hatte damit Erfahrung – auch auf der eigenen Haut und griff damit meinen Impuls auf, sich ein Workshop-Thema zu suchen, zu dem sie einen persönlichen Bezug hat.

Das Interessante für mich war, dass ich den Workshop als sehr gelungen empfand, obwohl er didaktisch auf den ersten Blick gegen viele der Regeln verstieß, die ich vorher als Orientierung zum Aufbau guter Workshops vermittelt hatte. Normalerweise folgt ein Workshop bestimmten Phasen, in denen die Teilnehmer*innen in das Thema eingeführt werden, kreativ arbeiten, eine Auswahl weiterverarbeiten und am Ende ihre Ergebnisse präsentieren. Diese Struktur hilft den Teilnehmer*innen, sich mit neuen künstlerischen Medien vertraut zu machen, weder über- noch unterfordert zu sein und den Arbeitsprozess als stimmig zu erleben – so die Theorie.

Der Tattoo-Workshop begann mit einer rein technischen Einführung in die Werkzeuge und Sicherheitsmaßnahmen – keine Impulse zu persönlichen Bezügen zum Thema, keine Abfrage von Erfahrung der Teilnehmer*innen. Es gab auch keine Entwurfsphase für Motive, sondern es wurde gleich drauflos tätowiert. Es gab keine Form der Auswahl, besonders gelungener Versucher und auch keine strukturierte Form der Präsentation, kein angeleitetes Feedback, keine methodisch gerahmten Impulse zur Reflexion, wie ich mir das eigentlich vorgestellt hatte. Hin und wieder wurde ein Foto gemacht – aber auch das war nicht angeleitet, sondern eher privat motiviert.

Dennoch – oder gerade deshalb (?) –  entstanden neben den Motiven auf der Bananenhaut, Gespräche über Erfahrungen mit Tattoos, über die Bereitschaft, mit spontanen Entscheidungen zu leben, die man irgendwann einmal getroffen hat, über die Bedeutung von Markierungen am Körper, Narben im Leben, die zum Teil der Persönlichkeit werden, Gespräche über Nähe und das Bedürfnis nach Distanz und Identität.

So bot dieser Workshop mit ein paar einfachen Werkzeugen und Bananen, die auf einen Tisch vor der Uni gelegt wurden, einen Rahmen für sehr persönliche Gespräche und Reflexion; die Gruppe, so schien es mir, war sich in diesem Workshop besonders nah.

Da ich mich für „Rezepte“ für gute Workshops interessiere, um diese in meinen „Werkzeugkasten“ für gute Workshops legen zu können, frage ich mich, wie diese soziale Interaktion initiiert wurde. Eine große Rolle spielte dabei vermutlich, dass die Workshopleiterin eine Kunstform einbrachte, zu der sie selbst einen starken persönlichen Bezug hat. Sie war bereit, ihre persönliche Erfahrung in den Workshop einzubringen. Es waren eben doch nicht nur ein paar Bananen auf einem Tisch, sondern eine Workshopleiterin, die damit zu sich selbst als Person einlud. Über das Medium Stick-and-Poke Tattoo und die Möglichkeit auf Bananen damit etwas ausprobieren zu können und die Vorstellung, dass dies auch auf der eigenen Haut tätowiert werden könnte, bot sie den Teilnehmer*innen eine Brücke zu sich selbst. Am ehesten lässt es sich für mich als performativen Akt verstehen, durch den sich die Workshopleiterin hier als Performance-Künstlerin selbst in den Dienst einer sozialen Interaktion stellte. Dieser performative Akt hat einen sozialen Raum eröffnet, der über die handwerkliche Tätigkeit zur Reflexion und zum Austausch einlud.

Eine professionelle soziale Arbeit kann dies sicher nicht immer und überall, wo sie gebraucht wird, bieten. Eine gute Methodik kann einen Rahmen bieten, um Lernprozesse und auch Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen. Diese Methodik kann man lernen und wir wenden sie in unseren Beratungen und Bildungskonzepten immer wieder erfolgreich an. Das Beispiel erinnert mich aber einmal mehr daran, dass gute Methodik nicht alles ist, sondern mit Leben, mit Persönlichkeit gefüllt werden muss. Der Workshop erinnert mich außerdem daran, dass wir zwar Impulse geben können, uns davon sicher auch das ein oder andere versprechen sollten – es aber ebenso wichtig ist, gerade auch das aufzugreifen, was wir nicht erwartet haben. In diesem Fall wurde nicht meine gelehrte Methodik angewendet, aber das größere Ziel hinter der Methodik erkannt und ein eigener künstlerischer performativ-ästhetischer Weg dort hingefunden. Diesen Prozess hatte ich so nicht erwartet und doch ist genau dies für mich nun die wertvollste Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin.

An diese Stelle passt der Link zum Blog des Master-Studiengangs Performative Künste in Sozialen Feldern an der Frankfurt University of Applied Sciences. Wer sich für künstlerische Interventionen im Kontext sozialer Arbeit interessiert, wird hier sicher noch weiter fündig. Und vielleicht ist es ja auch für ein*e Leser*in ein Impuls für ein neues berufliches Feld – aber wer kann schon genau sagen, was unsere Impulse so auslösen 😉

Und weil es irgendwie auch passt: Hier noch ein Beitrag des Deutschlandfunks über die Bedeutung der Banane in der Kunst. Viel Spaß beim Hören!